Re: 1.000+1.000=1.000.000.000? (Sozialpolitik)

Umverteiler, Freitag, 08.10.2004, 20:14 (vor 7152 Tagen) @ Heri Zey

Die Konsensgesellschaft

Offenbar kann niemand in Deutschland mit gesellschaftlichen Wahrheiten und pointierten Meinungen umgehen. Wie in der sich selbst blockierenden Politik muss auch in Diskussionsforen und allgemein in der öffentlichen Meinung Verständigung auf einem kleinsten gemeinsamen Nenner erreicht werden – Friede, Freude, Eierkuchen als Leitmotiv dieser Gesellschaft, Sabine Christiansen lässt grüßen !

Das Problem ist jedoch, dass der kleinste gemeinsame Nenner erst nach Jahren gefunden wird, und die Probleme leider nicht so lange auf uns warten, wenn sie noch lösbar sein sollen.

So ist es mir ein innerliches Bedürfnis, eine neue provokante Thesen aufzustellen, die da heißt: Private Vorsorge in dieser Gesellschaft wird bestraft, auch in der Krankenversicherung.

Hat sich etwa schon jemand für seine Zahnpflege privat zusatzversichert und versucht jetzt, diese Versicherung wieder zu kündigen, weil unsere Ulla es sich doch anders überlegt hat, um bloß keinen Schritt Richtung Kopfpauschale und individuelle Risikoabsicherung gehen zu müssen ?

Wer heute privat krankenversichert ist und sein individuelles Risiko absichert, der wird offen als Sozialschmarotzer bezeichnet, der das System der GKV zum Einsturz bringt, weil er sich aus der Solidarversicherung verabschiedet hat. Vielleicht ist es dem geneigten sachkundigen Leser schon aufgefallen, dass Privatversicherte beim Doktor das 1,7- fache, 2,3-fache oder sogar 3-fache des GKV-Patienten für dieselbe Leistung löhnen. Damit subventioniert der PKV-Patient die ärztlichen Leistungen des GKV-Patienten und somit auch das gesamte System der Gesetzlichen Krankenversicherung. Ohne Privatpatienten kann mancher niedergelassene Arzt gar nicht finanziell überleben. Der PKV-Patient zahlt in jungen Jahren Altersrückstellungen, die sein höheres Krankheitsrisiko und dessen Kosten im Alter teilweise vorfinanzieren. In der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es keine Vorsorge für eine alternde Gesellschaft, die höhere Krankheitskosten verursacht. Dies macht die gegenwärtige Situation so dramatisch, dass man auch alle, im wesentlichen besser verdienenden PKV-Angehörigen durch Zwangsmitgliedschaft in der GKV zur Finanzierung der Defizite heranziehen möchte. Allerdings wird nicht das System reformiert, sondern nur die Einnahmesituation temporär verbessert. Die strukturellen Probleme bleiben erhalten und kommen dann ein paar Jährchen später wieder umso stärker zum Vorschein.

Speziell für die Altersvorsorge gilt jedoch noch stärker, dass der bestraft wird, der Konsumverzicht leistet und privat zusätzlich vorsorgt. Sein Geld ist angeblich "unproduktiv" angelegt, es "liegt nur so rum", als hätte der Staat keine Schulden zu finanzieren. Oder sind Staatsschulden für staatliche Aufgaben nicht schon per Definition sinnvolle Ausgaben, die irgendeiner doch finanzieren muß ? Ach ja - es wäre besser, wenn der Sparer diese staatlichen Ausgaben über Zusatzsteuern in exakt derselben Höhe wie sein dem Staat geliehenes Guthaben finanzieren müsste, so dass ihm gar kein Geld übrigbleibt, um dem Staat einen Kredit in dieser Höhe geben zu können.

Der Sparer muss stattdessen die privaten Ersparnisse fürs Alter mehrfach versteuern (Stichwort Alterseinkünftegesetz) und wird von Hartz 4 im Falle der Arbeitslosigkeit vor der Rente so behandelt, als hätte er für den Lebensunterhalt während der Zeit der eigentlichen Erwerbsfähigkeit "verwertbares" Vermögen angesammelt. In die Rente geht der zuvor Arbeitslose dann als Sozialhilfeempfänger ohne Ersparnisse fürs Alter. Aus der gesetzlichen Altersvorsorge ist ernsthaft sowieso nichts anderes als eine Grundsicherung in Höhe der Arbeitslosenhilfe, pardon in Höhe des ALG II, für die Zukunft zu erwarten, egal wie viel man vorher eingezahlt hat.

Wer dagegen immer alles Geld, das er verdient, raushaut und nichts anspart, der ist grundsätzlich immer bedürftig und wird von Vater Staat bzw. genauer von denen, die sparen und Konsumverzicht leisten, unterstützt werden müssen. Derjenige, der alle seine Einkünfte sofort auf den Kopf haut, ist nach Ansicht der Politik ja auch derjenige, der die Wirtschaft antreibt und für Wachstum sorgt. Nach dieser Logik gäbe es in letzter Konsequenz keine Investitionen mehr und auch keinen technischen Fortschritt. Es wird alles weggekauft, was auf dem Markt ist, notfalls auf Kredit. Der Unternehmer wird aber auch seine Gewinne nicht wieder investieren oder seine Produkte weiterentwickeln, sondern den gesamten Gewinn in den privaten Konsum stecken. Mit diesem Verhalten ist er jedoch nicht mehr Unternehmer, denn zum Unternehmertum gehört zwingend Sparen und Eigenkapital aufbauen, ansonsten bekommt man von der Bank keinen Kredit, um unternehmerisch tätig zu werden. Wohin dieses Verhaltensmuster ohne Unternehmertum und Privatwirtschaft führt, lehrt uns das Beispiel der ehemaligen DDR. Jeder hatte genügend Ostmark, um alles, was im Osten produziert wurde, zu kaufen, nur es wurde leider nicht genügend und auch nicht in zufriedenstellender Weise produziert. Der Staat DDR hat seine wirtschaftlichen Ressourcen mangels Vorsorge bzw. Investitionen in die Zukunft materiell wie personell aufgebraucht, um dann von ganz allein auseinanderzufallen.

Der Staat BRD unterstützt also den Lebemann bzw. den Geldverprasser und bestraft den Vorsichtigen, Sparsamen und Investierenden - dementsprechend fällt die aktuelle Politik aus, die auf Opportunität und Machterhalt ausgerichtet ist und sich nicht um die wirtschaftliche Zukunft kümmert.

Fazit: Wer die Kohle auf den Kopf haut wie sie reinkommt, handelt politisch korrekt und kann sich der Fürsorge des Staates zu jeder Zeit und in jeder Lebenslage sicher sein. Wer dagegen spart und vorsorgt, ist selber Schuld, denn dieses Verhalten ist gesellschaftlich nicht gewünscht und wird steuerlich sanktioniert. Ein Schwerverbrecher ist aber der Sparer, der seine Kohle unter dem Kopfkissen hortet (um sie dem Zugriff staatlicher Stellen zu entziehen bzw. die Existenz des Geldes vor Finanzamt, Sozialbehörden, etc. zu verbergen), denn ab 1.4.2005 ist er ein gläserner Bankkunde, dem 10 Jahre rückwirkend nachgewisen werden kann, dass er die Kohle einmal besessen hat. Dann ist nämlich das Bankgeheimnis endgültig tot. A propos Bankgeheimnis, vielleicht war der Sparer so dumm war, seine bereits versteuerte Kohle außer Landes zu bringen, um die mageren Zinsen abzüglich der Inflationsrate von 2% steuerfrei zu kassieren (bei Versteuerung der 4% Zinsen wäre der inflationsbereinigte Ertrag exakt 0). Dieser Geldwäscher und Drogendealer wird spätestens als gutgekleideter, schon etwas dusseliger Opa oder Oma an der Grenzkontrolle herausgefiltert, weil er sich bei der „Repatriierung“ der Kohle erwischen läßt. Das führt dazu, dass er wie ein Krimineller verurteilt, aber nicht weggesperrt wird (das wäre für den Staat zu teuer, einen Rentner einzulochen neben Kapitalverbrechern bei Tagessätzen für einen Knastplatz von 150 Euro). Zumindest um 75% seiner Ersparnisse wird der Ruheständler aber staatlich abgesegnet gebracht. Dummheit muss schließlich öffentlichkeitswirksam bestraft werden, wo kämen wir denn sonst hin ?


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